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Piratenpartei – Interview mit Sebastian Sproesser über den Social Media Einsatz in der Partei

Soziale Netzwerke bieten enormes Potential und liegen im Trend. Nicht nur bei Online-Communitys, sondern auch bei politischen Parteien regt sich großes Interesse. Unsere Gesellschaft verändert sich und durch das Internet und das Social Web können viele Menschen in kürzester Zeit erreicht werden. Davon möchten auch politische Parteien profitieren und setzen vermehrt verschiedene Online Tools ein, um Teil zu haben an diesem neuen Prozess.

Zu diesem Themengebiet dürfen wir nun Herrn Sebastian Sproesser interviewen. Er ist langjähriger Vorsitzende vom Kreisverband der Piratenpartei Heilbronn, Stammtisch-Sprecher, Twitter-Admin und laut eigenen Angaben das “Mädchen für alles”.

Herr Sproesser, laut Ihrer Profilseite vom Wiki der Piratenpartei (http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Elzoido) gehören unter anderem die Bürgerrechte und die Bürgerbeteiligung zu Ihren Hauptanliegen. Was bedeutet das für Sie ganz konkret im Kontext der sozialen Netzwerke?

Herr Sproesser: Durch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter können natürlich viel mehr Menschen schneller erreicht werden, als es durch klassische Medien möglich war. Gerade Bürgerbeteiligung lebt davon, dass sich jede/r umfassend informieren kann. Auch wenn bei einem Thema Hilfe benötigt wird, finden sich so oft freiwillige Helfer/ innen. Ein Beispiel ist die Plattform BERwatch (https://ber.piratenfraktion-berlin.de/fragen) der Berliner Piratenfraktion: Dort werden durch Crowdsourcing “Rechercheaufträge” an die Community verteilt und das natürlich auch über soziale Netzwerke bekannt gegeben, um die vorhandene Expertise aus der Community zu nutzen. Auch unserer Heilbronner Transparenzplattform hnwatch.de haben wir eine Kommentarfunktion verpasst, wo einzelne Beschlüsse des Gemeinderates gezielt um Informationen, Fakten und Meinungen aus der Bevölkerung ergänzt werden können. Dieses Angebot ist allerdings noch wenig bekannt und wird derzeit deswegen eher verhalten genutzt.

Werden Social Media in den Augen konservativer Wähler immer noch als unseriös angesehen oder mittlerweile doch mit traditionellen Kommunikationsformen gleichgestellt?

Herr Sproesser: Heutzutage sind viele Wähler/ innen bei Facebook erreichbar. Natürlich dürfte gerade in den konservativeren Kreisen die Nutzung nicht so stark ausgeprägt sein, wie bei jungen Menschen, die im und mit dem Netz sozialisiert wurden. Aber die Nutzung nimmt doch zu. Meiner Erfahrung nach werden soziale Netzwerke deutlich passiver genutzt. Ich würde mich zum Beispiel wundern, wenn mein Vater schon die Chatfunktion in Facebook entdeckt hätte.

Wie sieht für die Piratenpartei der Wahlkampf via Social Media aus und konnten Sie bereits messbar Wähler über solche Medien gewinnen?

Herr Sproesser: Die Menschen wollen Informationen, wir möchten sie auf unterschiedlichem Wege erreichen. Wir werden den kommenden Bundestagswahlkampf hauptsächlich auf der Straße führen. Natürlich werden wir auch soziale Netzwerke (hauptsächlich Facebook und Twitter) nicht vernachlässigen, aber der Hauptfokus wird doch eher weg von der Tastatur liegen.

Wenn es nach den Piraten geht, so sollen Mitglieder auch per Internet mitentscheiden und Nichtmitglieder ebenfalls mitreden können. Hierfür nutzen Sie eine Software mit der Bezeichnung “Liquid Feedback”. Was kann man sich darunter vorstellen?

Herr Sproesser: Liquid Feedback ist eine Umsetzung des Konzeptes Liquid Democracy. Das ist ein Zwischending zwischen reiner Basisdemokratie und den klassischen, von anderen Parteien bekannten Delegiertenmodellen. Die Idee dahinter ist: Jedes Mitglied kann das eigene Stimmrecht an eine andere Person weitergeben. Da diese andere Person ihre Stimmen auch wieder weitergeben kann, kann es so vorkommen, dass einzelne Abstimmende mehrere hundert Stimmen auf sich vereinen. Das verhindert zwar klassische Machtnetzwerke nicht, aber es macht sie transparent. Und wenn sich das Vertrauen in eine andere Person als nicht gerechtfertigt herausgestellt hat, kann dem Mitglied die Delegation der eigenen Stimme jederzeit wieder entzogen werden.

Die Piraten haben es vorgemacht und nun suchen auch andere Parteien die Öffentlichkeit durch die sozialen Netzwerke. Welche Chancen bieten in diesem Fall Social Media und welchen Mehrwert bietet die digitale Welt für Regierung und Staat?

Herr Sproesser: Über soziale Netzwerke findet viel mehr direkte Interaktion mit den Wähler/ innen statt, jedenfalls falls gewünscht. Der Twitter-Account des Regierungssprechers Steffen Seibert @RegSprecher wird beispielsweise hauptsächlich dazu genutzt, um Informationen zu verbreiten. Interaktion mit anderen Twitter-User/ innen findet da zwar gelegentlich statt, ist aber eher die Ausnahme. Anders sieht das beispielsweise beim Bundes-Umweltminister Peter Altmaier @peteraltmaier aus, der vermutlich zu Beginn seines Twitter-Experiments nicht erwartet hat, so starken Zulauf zu erhalten. Höhepunkt aus Piratensicht dürfte da ein Abend gewesen sein, wo sich der Minister Altmeier in unsere virtuelle Telefonkonferenz “Mumble” begeben hat und uns stundenlang Rede und Antwort stand. So viel Dialog mit den Bürgern ist allerdings die absolute Ausnahme. Und dann gibt es natürlich noch die andere Seite der Medaille, wo soziale Netzwerke als Mittel im Wahlkampf verstanden werden und nicht mal von der Person selbst genutzt, sondern vom Parteipersonal gepflegt werden. Bürgernähe sieht so jedenfalls nicht aus. Ein Negativbeispiel wäre hier wohl die Facebook-Seite des Heilbronner FDP-Abgeordneten Michael Link: https://www.facebook.com/MichaelGeorgLink

Gibt es bei Ihnen in Heilbronn eine klare Rollenverteilung bei der Social-Media Öffentlichkeitsarbeit wie den Blogs und der sozialen Kanäle? Gibt es bei Ihnen so etwas wie eine Redaktionssitzung?

Herr Sproesser:
Wir haben keine Redaktionssitzungen oder sonstige feste Strukturen. Wir arbeiten hier mit dem sogenannten piratigen Mandat, das auf Vertrauen basiert. Wer Zugriff auf den Twitter- oder Facebook-Account will, bekommt ihn meist auch. Natürlich hält im Endeffekt der Vorstand des Kreisverbandes den Kopf hin, aber diese Vorgehensweise hat sich bewährt – bisher wurden wir nicht enttäuscht.

Wie reagieren Sie als Piratenpartei auf schlechtes Feedback aus den sozialen Netzwerken? Gibt es bei Ihnen so etwas wie Partizipations-Richtlinien?

Herr Sproesser: Es gibt keine festgeschriebenen Richtlinien. Warum auch? Auch im Internet sollte man sich genauso höflich und fair verhalten wie von Angesicht zu Angesicht. Das heißt allerdings nicht, dass wir alles dulden. Es kam in der Vergangenheit schon vor, dass jemand nur auf Pöbeleien aus ist und andere dadurch belästigt. In dem Fall behalten wir uns vor, unser virtuelles Hausrecht auszuüben und solche Personen von der Nutzung unserer Facebookseite auszuschließen. Das sind aber Einzelfälle.

Die Piratenpartei setzt bei der internen Organisation stark auf Web-Strukturen, wie einem eigenen Wiki oder dem sogenannten Piratenpad. Hat das Vorteile gegenüber den Techniken etablierter Parteien?

Herr Sproesser: Andere Parteien haben Vollzeitkräfte, die Pressemitteilungen (PM) schreiben, lektorieren und verschicken. Die haben wir natürlich nicht, deswegen müssen wir flexibler sein. Wenn jemand ein aktuelles Thema hat, wird ein Piratenpad erstellt und angefangen eine PM zu schreiben. Eine kurze Frage auf Twitter nach Helfer/ innen und meistens ist dann nach kürzester Zeit ein brauchbaren Text entstanden. Auch für das Lektorat haben wir ehrenamtliche Helfer/ innen, die oft die Mittagspause ihres Jobs opfern, um schnell mal eine PM oder ein Interview zu überarbeiten. Die ehrenamtliche Arbeit ist deshalb viel effizienter eingesetzt, als bei den Etablierten.

 

Über Daniel Wierbicki

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